Scratch: Eine kooperative Programmiersprache für den schulischen Alltag

Von Lydia Viola Karwatzki und Sina Schlüter und Christian Fischer, Ph.D.

Was ist Scratch?

Als bildungsorientierte visuelle Programmiersprache baut Scratch auf dem lerntheoretischen Konzept des Konstruktionismus auf. Diese ermöglicht aufgrund der Kombination folgender drei Eigenschaften fächerübergreifendes Lernen und den Einsatz im Unterricht jeglicher Alters- und Klassenstufen: low floor, high ceiling und wide walls. Low floor bezieht sich dabei auf den erleichterten Einstieg in das Programmieren mit keinen oder geringen Vorkenntnissen, high ceiling auf das Ausmaß der Erweiterung des individuellen Kompetenzniveaus und wide walls auf die Breite an vielfältigen Möglichkeiten der Aufgabenstellung und der Zugangsweisen, die ermöglichen, Projekte verschiedener Art realisieren zu können.

Scratch bietet den Nutzenden eine Lernumgebung, die insbesondere junge Menschen durch die Tendenz zum Minimalismus und den bewussten Verzicht auf ablenkende Fenster und Fehlermeldungen spielerisch und eigenständig durch Ausprobieren, Herumbasteln und Zusammenarbeit mit der Internetgemeinschaft an das Programmieren heranführt. Ein Beispiel stellt dabei der Einsatz von Scratch zum digitalem Storytelling im schulischen Alltag.

Remix - Wie geht das?

Das Wort Remix stammt aus dem Gebiet der Musik. Wie auch in der Musikbranche können in Scratch überarbeitete Fassungen eines Originals entstehen. Eine der für die Entwickelnden wichtigsten Eigenschaften von Scratch ist der Aspekt des Teilens. Unter dem Reiter „Entdecken” kann man auf der Scratch Webseite die Projekte anderer ansehen und einsehen. Es besteht bei jedem Spiel, jeder Animation oder hochgeladenen Geschichte die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Nach dem ersten Anklicken eines Projekts kann jede Person die vom Programmierenden formulierte Anleitung, Anmerkungen und Danksagungen einsehen. Oben rechts befindet sich ein Button, der mit “Schau hinein” gekennzeichnet ist. Durch diese Funktion kann das Skript mit den verwendeten Bausteinen eingesehen werden. Neben der Freude an den Projekten selbst wird so auch die Neugierde der Nutzenden begünstigt.

Neben der Möglichkeit, in das Skript zu schauen, gibt es unter dem Button Remixen, auch die Option, die bereits bestehenden Projekte weiterzuverarbeiten. Wenn jemand ein Projekt remixt, kann ein bereits fertiges Projekt, verbessert, verändert und anschließend wieder auf Scratch als eigenes und neues Projekt hochgeladen werden.

Es gibt dabei verschiedene Arten des Remixens. Zum Ersten die Verbesserung, wenn also ein Projekt um Funktionen erweitert, Fehler behoben oder Grafiken überarbeitet werden. Zum Zweiten gibt es die Remix-Ketten eine Variante, bei der von einem Ursprungsprojekt ausgehend ein Charakter des Erstautors von möglichst vielen anderen Scratchern weitergeführt wird, sodass eine Geschichte entsteht. Durch die Veröffentlichung eines Projekts auf der Scratch-Website erlaubt man anderen Programmierenden automatisch die eigene Arbeit neu zu mischen. Es ist deshalb auch nicht erlaubt, in die Anmerkungen ein Verbot für das Wiederverwenden zu schreiben, welches andere Personen vom Remixen abhalten könnte.

Eine Regel gibt es aber: Es soll nicht einfach kopiert werden. Damit bei keinem Scratcher das Gefühl aufkommt, dass er seines geistigen Eigentums beraubt wurde, soll die Projektbeschreibung immer den Benutzernamen des Urhebers oder der Urheberin sowie eine Beschreibung der Veränderungen aufweisen. Wenn diese Richtlinien nicht eingehalten werden, gibt es die Möglichkeit, dies dem Scratch Team zu melden.

Remix – Wofür ist das?

Aus lerntheoretischer Sicht bringt Remixen viele Alltagsvorteile, da es realitätsnah ist und Lebensweltbezug besitzt. Das unmittelbare Feedback, das über das erfolgreiche Funktionieren der Programmierung hinausgeht, indem Mitnutzende anerkennende Rückmeldung geben können, fungiert als soziale Belohnung. Programmierende lernen zu teilen, Möglichkeiten in der Zusammenarbeit zu entdecken und andere Lösungswege nicht als falsch zu bewerten.

Eine empirische Studie dazu wurde von Kang im Jahre 2019 an koreanischen Grundschulkindern durchgeführt. Die Experimentalgruppe lernte kooperativ und selbstständig anhand der Remix-Funktion von Scratch, während die Kontrollgruppe einen allgemeinen, von einem Lehrer geleiteten Unterricht erhielt. Die Mitglieder der Experimentalgruppe konnten Prozesse durch den Einsatz der Remix-Funktion verändern, sich aktiv an den Projekten beteiligen und schließlich teambasierte Ergebnisse erzielen. Dies führte zu einem höheren Maß an kooperativem Bewusstsein, eine Unterkategorie der „Sozialität“, sowie einem höheren Maß an „Gemeinschaft“ und „Verantwortung“ in den Unterbereichen der „demokratischen Grundhaltung“.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Seminars “Digitale Medien und Pädagogische Psychologie” im Wintersemester 2021/2022 enstanden.

Über die Autor*innen:

Lydia Viola Karwatzki und Sina Schlüter sind Studentinnen des Masterstudiengangs Empirische Bildungsforschung und Pädagogische Psychologie an der Universität Tübingen.

Christian Fischer, Ph.D. ist Tenure-Track-Professor für Educational Effectiveness am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung der Universität Tübingen.

Zum Weiterlesen:

Eich, M., Thomas, J., & Fischer, C. (2021, May 19). Digitales Storytelling: Programmieren lernen durch Geschichtenerzählen. Retrieved from http://lead.schule/blog/digitales-storytelling-programmieren-lernen-durch-geschichtenerzaehlen/

Kang O. H. (2019). Analysis of the Sociality and Democratic-Citizenship Changes from the Application of the Scratch Remix Function in Cooperative Learning. Journal of Information Processing Systems, 15(2), 320–330. https://doi.org/10.3745/JIPS.04.0108

Maloney, J., Resnick, M., Rusk, N., Silverman, B. & Eastmond, E. (2010). The Scratch Programming Language and Environment. ACM Transactions on Computing Education, 10(4), 1–15. https://doi.org/10.1145/1868358.1868363

Resnick, M., Maloney, J., Monroy-Hernández, A., Rusk, N., Eastmond, E., Brennan, K., Millner, A., Rosenbaum, E., Silver, J., Silverman, B. & Kafai, Y. (2009). Scratch: Programming for all. Communications of the ACM, 52(11), 60–67. https://doi.org/10.1145/1592761.1592779

Remix. (o.D.). Scratch-Wiki. https://de.scratch-wiki.info/wiki/Remix

Karossa, N., Ferdinand, J., & Fischer, C. (2020, April 7). Programmieren kinderleicht: Schnelle Erfolgserlebnisse mit Scratch. Retrieved from https://lead.schule/blog/scratch/

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