Schulbücher erhalten schlechte Noten für die Sprache

Von Manuela Mild

Tübinger Bildungsforscher und Linguisten untersuchten Schulbücher hinsichtlich ihrer Sprache. Ihr Ergebnis: Es gibt noch deutliches Verbesserungspotential.

Schulbücher werden oft zum Gegenstand öffentlicher Diskussion. Meist geht es dabei um die Themen, die die Büchern behandeln oder – in Zeiten der Digitalisierung – um das Format an sich. Ein wesentlicher Faktor, der dazu beiträgt ob ein Schulbuch für eine jeweilige Klassenstufe geeignet ist oder nicht, findet dabei selten Beachtung: die Sprache. Dabei wäre Lernen ohne die Sprache als Medium doch beinahe undenkbar. Nicht nur in den Sprachen, sondern auch in allen anderen Fächern sind die zu vermittelnden Inhalte untrennbar mit der Sprache, in der sie präsentiert werden, verknüpft.

Ist die Sprachwahl eines Schulbuchs unpassend für den Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler, hat dies drastische Auswirkungen auf den Lernerfolg. Zu hohe oder aber zu niedrige Leseanforderungen können das Textverständnis negativ beeinflussen, indem sie bei den Lernenden Frustration, Langeweile oder Verwirrung hervorrufen. Die Folge: Junge Leserinnen und Leser schalten ab und konzentrieren sich nicht mehr auf den Text.

Die sprachliche Komplexität von Schulbüchern wurde in der bisherigen linguistischen Forschung mehrfach aufgegriffen. In den zum Thema durchgeführten Studien zeichnet sich ein klarer Trend ab: Texte in Schulbüchern sind nur selten auf den Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler, für die sie geschrieben wurden, angepasst. Jedoch konzentrieren sich viele diese Studien nur auf eine sehr kleine, spezifische Auswahl an Texten. Andere Studien betrachten wiederum nur Schulbücher für einzelne Klassenstufen und Schulformen.

Die Studie: 3.000 Texte aus 35 Schulbüchern analysiert

In einer interdisziplinär angelegten Studie haben Tübinger Bildungsforscher und Linguisten daher knapp 3.000 Texte aus Geografiebüchern von vier Schulbuchverlagen für die Klassen fünf bis zehn an Hauptschulen und Gymnasien untersucht. Die Texte stammten aus insgesamt 35 in Baden-Württemberg zugelassenen Schulbüchern. Mit Hilfe computerlinguistischer Methoden bestimmten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Merkmale, anhand derer die sprachliche Komplexität der Texte verglichen werden kann. Sie analysierten die Texte beispielsweise danach, wie abwechslungsreich der darin enthaltene Wortschatz ist oder aus wie vielen Wörtern ein Satz im Durchschnitt besteht. Auch grammatikalische Strukturen, die Häufigkeit des Genitivs, der zu den komplizierteren Fällen zählt, oder die Anzahl der Konnektoren, also Wörtern wie „allerdings“ oder „stattdessen“, wurden untersucht.

Anschließend haben die Wissenschaftler die Texte aus Büchern der unterschiedlichen Klassenstufen und Schularten miteinander verglichen. Je höher die Klassenstufe und das Leistungsniveau, desto komplexer müsse die Sprache der Texte sein, nahmen sie an. Außerdem interessierte die Wissenschaftler, ob es Unterschiede zwischen den einzelnen Verlagen gibt. Da manche Bücher für zwei Schuljahre verfasst waren, fassten sie immer zwei Klassenstufen zusammen und verglichen die Bücher der 5. und 6. Klasse mit den Büchern der 7. und 8. Klasse sowie der 9. und 10. Klassen. Auf Basis ihrer computerlinguistischen Analysen konnten die Wissenschaftler herausfinden, ob die Texte der höheren Klassen auch tatsächlich komplexer waren als die der unteren Klassen, ob die Bücher für die Hauptschulen sich von denen der Gymnasien unterschieden und ob es Unterschiede zwischen den Verlagen gab.

Ergebnisse: „Deutliches Verbesserungspotential“

Das Ergebnis: Die untersuchten Schulbücher wiesen nur bedingt eine systematische Zunahme sprachlicher Komplexität auf. Zudem gab es deutliche Unterschiede zwischen den Verlagen in dieser Zunahme. Das lässt vermuten, dass viele Texte nur bedingt an die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler angepasst sind. Ob die Texte nun allerdings zu schwer oder zu leicht für die Schülerinnen und Schüler waren, ließ sich mit dieser Studie nicht herausfinden. Schließlich gibt es keine festgelegten Kriterien oder Standards, über welche Fähigkeiten Schüler in den einzelnen Klassenstufen und Schulformen verfügen sollten.

Was sich allerdings mit Sicherheit feststellen lässt, ist ein deutliches Verbesserungspotenzial was die Passgenauigkeit der Schulbuchtexte angeht. Dies betrifft zum Beispiel den verwendeten Wortschatz und die grammatischen Strukturen. Denn sind die Texte in Schulbüchern zu schwierig, behindert das den Lerneffekt: Das Arbeitsgedächtnis ist überlastet und die Schülerinnen und Schüler können die Textelemente nicht oder nur bedingt mit den Informationen verknüpfen, die der Text eigentlich vermitteln sollte. Sie haben daher Probleme, den Text zu verstehen. Zu leicht dürfen die Texte ebenfalls nicht sein, weil der optimale Lerneffekt erst dann eintritt, wenn der neue Lernstoff leicht über dem aktuellen Niveau der Schülerinnen und Schüler liegt.

Ausblick

Was könnten die Schulbuchverlage aber tun, um eine höhere Passgenauigkeit der Texte zu gewährleisten? Zunächst einmal sollten sie viel systematischer berücksichtigen, was Texte passend für Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersstufen und Leistungsniveaus macht. Nur so können die Schüler inhaltlich und sprachlich gefördert werden. Natürlich kann aber nicht jeder Schulbuchautor auch gleichzeitig Linguist sein. Daher wäre zum Beispiel auch der Einsatz von computerlinguistischen Werkzeugen denkbar, die die Autoren bei der Auswahl und Erstellung von Texten unterstützen.

Bildnachweis: Friedhelm Albrecht/Universität Tübingen

Zum Weiterlesen:

Berendes, K., Vajjala, S., Meurers, D., Bryant, D., Wagner, W., Chinkina, M., & Trautwein, U. (2017). Reading demands in secondary school: Does the linguistic complexity of textbooks increase with grade level and the academic orientation of the school track? Journal of Educational Psychology. doi:10.1037/edu0000225

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