Studie

Wie Twitter bildungsinteressierte Menschen vernetzt und fördert

Titel der Studie: Mapping the Landscape of Educational Twitter Use in Germany: Informal Teacher Learning in Online Communities of Practice

 

Laufzeit: April 2022 - 2023

Studien, Forschung

Von didaktischen Methoden über adäquate Unterrichtsmaterialen bis hin zum Umgang mit Mobbing in der Klasse - es gibt viele Themen, über die sich Lehrkräfte gerne mit Kolleginnen und Kollegen austauschen möchten.

Lange Zeit war das Kollegium am Arbeitsplatz jedoch der einzige Ort, an dem sich Lehrerinnen und Lehrer Tipps und Anregungen holen konnten. Dank sozialer Medien ist die Anzahl an potenziellen Gesprächs- und Diskussionspartnern aber deutlich gestiegen.

In Deutschlands beliebtester Twitter-Community – dem „Twitterlehrerzimmer" – tauschen sich etwa zu Themen rund ums Unterrichten und das Bildungssystem im Allgemeinen aus.

Christian Fischer vom LEAD Graduate School & Research Network analysiert diese Community in einer großangelegten Studie. Er möchte herausfinden, ob das „Twitterlehrerzimmer“ für Lehrkräfte sinnvolle informelle Online-Lernmöglichkeiten bieten kann, um berufliche Netzwerke zu erweitern und mit Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten.

Hierfür untersuchen er und sein Team rund 2.7 Millionen Tweets von ca. 140.000 Nutzerinnen und Nutzern.

Hintergrund

Im Arbeitsalltag von Stephanie ergeben sich immer wieder Situationen, die die junge Lehrerin vor Herausforderungen stellen.

Welche Unterrichtsmaterialien bieten sich etwa dafür an, um ihren Schülerinnen und Schülern den Mauerfall und die Wiedervereinigung zu erklären? Wie soll sie sensible und wichtige Themen, wie etwa den Nationalsozialismus didaktisch vermitteln? Und wie soll sie damit umgehen, dass einer ihrer Schüler am Nachmittag nicht nach Hause möchte, weil sich Mutter und Vater ständig streiten?

Da ihr die wenigen Kolleginnen und Kollegen an ihrer Realschule in letzter Zeit nur unzureichende Tipps und Anregungen zu all ihren Fragen geben konnten, hat Stephanie sich nach einer Ergänzung zum persönlichen Austausch umgeschaut.

Fündig geworden ist sie auf Twitter.

© Copyright: Unsplash
Rund Achtmillionen Menschen nutzen Twitter in Deutschland. Darunter auch zahlreiche Userinnen und User, die sich für Bildungsthemen interessieren.

In Communities wie dem „Twitterlehrerzimmer“ tauschen sich tausende Lehrkräfte aus ganz Deutschland miteinander aus. Sie beschäftigen sich mit Fragen rund um ihren Arbeitsalltag oder die Bildungspolitik. Teilen Erfahrungen und Kontakte und unterstützen sich gegenseitig.

Neben Lehrkräften nutzen auch Forschende, Politikerinnen und Politiker und Eltern von Schulkindern diese digitale Sphäre. Was alle eint, ist das Interesse an Bildungsthemen.

Stephanie bietet dieser digitale Raum viel mehr Möglichkeiten als ihr kleines Lehrerzimmer vor Ort. Sie findet auf Twitter nicht nur Antworten auf ihre Fragen, sondern auch Inspirationen für die verschiedensten Bereiche ihres Arbeitsalltags.

So wie Stephanie profitieren in Deutschland tausende Lehrerinnen und Lehrer von den Möglichkeiten dieses digitalen Austausches.

Dadurch bieten Communities wie das „Twitterlehrerzimmer“ ein großes Potenzial dafür, die Lehre an deutschen Schulen nachhaltig zu verbessern. Wissenschaftlich untersucht ist diese Onlinesphäre bislang aber kaum.

Christian Fischer und sein Team möchten das nun ändern.

Methoden und Vorgehensweise

Mithilfe eines Application Programming Interface (API) haben die Forscherinnen und Forscher zahlreiche anonymisierte Tweets von Twitter heruntergeladen. Diese werden nun sowohl deskriptiv als auch mit quantitativen Forschungsmethoden bearbeitet.

Ersteres, um die Merkmale der verschiedenen Communities in der deutschen Twittersphere zu beschreiben. Zweiteres, um mehr über die Art und Weise der einzelnen Tweets herauszufinden. Also etwa, ob ihr Inhalt positiv oder negativ ist.

Insgesamt untersuchen Christian Fischer und sein Team rund 2,7 Millionen Tweets von etwa 140.000 Nutzerinnen und Nutzern, zusammengefasst unter 100 verschiedenen Hashtags, wie etwa #twlz, #EdChatDE, #EduBW und #pflichtfachinformatik.

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Die bildungsbezogenen Themen, über die sich Menschen auf Twitter austauschen, sind divers. Um die Communities besser zu verstehen, analysiert sie Christian Fischer deshalb sowohl deskriptiv als auch quantitativ.

Durch die großangelegten Analysen haben die Forscherinnen und Forscher etwa herausgefunden, welche bildungsbezogenen Themen auf Twitter am bedeutsamsten sind:

„Lehrkräfte nutzen Twitter, um Kontakte zu knüpfen und emotionale Unterstützung zu erhalten, aber auch um Materialien auszutauschen und die praktische Umsetzung neuer Reformen im Arbeitsalltag zu diskutieren.“, erklärt Fischer.

Die Covid-Pandemie und die damit einhergehenden Belastungen für das Bildungssystem hätten die Communities seit 2020 ebenfalls stark beschäftigt. So thematisierten viele Tweets die Covid-Krise sowie deren Auswirkungen auf bildungspolitische Entscheidungen.

Insgesamt sei es spannend zu sehen, dass der Ton innerhalb der digitalen Bildungssphäre zum Großteil ein positiver ist, sagt Fischer. Lediglich ein Drittel der Tweets, die er und sein Team untersucht haben, seien mit negativem Sentiment aufgefallen.

„Die meisten Beiträge sind hingegen unterstützend und informativ“, so Fischer.

Damit tragen sie zum Ausbau der konstruktiven und einladenden Onlinegemeinschaft auf Twitter bei, von der Lehrkräfte wie Stephanie profitieren.

Ziel

Aus den in dieser Studie generierten Informationen soll ein großer Datensatz entstehen, auf den Forscherinnen und Forscher in Tübingen zukünftig zurückgreifen können, um weitere Studien zur Nutzung und Effektivität von Twitter im Bildungsbereich durchzuführen.

Darüber hinaus möchten Christian Fischer und sein Team die Skripte, die sie für ihr Projekt verwendet haben, veröffentlichen. Damit möchten sie bewirken, dass ihre Methoden, mit deren Hilfe sie die deutsche Bildungssphäre auf Twitter untersucht haben, auch für ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzbar sind.

Ein weiteres Ziel ist es aufzuzeigen, dass das „Twitterlehrerzimmer" die Merkmale einer Online-Praxisgemeinschaft erfüllt.

Dazu zählen spezifische Sprachmerkmale, also etwa die Verwendung von bildungsbezogenen Fachbegriffen., ebenso wie Interaktionen zwischen den einzelnen Userinnen und Usern und das Behandeln von Themen, die für den Lehrberuf relevant sind.

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Ob Austausch, Fortbildung oder mentale Unterstützung - Twitter bietet Personen, die an Bildungsthemen interessiert sind, vielfältige Möglichkeiten.

„Unseren ersten Erkenntnissen nach, können wir davon ausgehen, dass das „Twitterlehrerzimmer‘ tatsächlich die Merkmale einer Online-Praxisgemeinschaft erfüllt.“, resümiert Fischer.

Auf Grundlage dieser Erkenntnis betont der Bildungsforscher das übergeordnete Ziel seiner Studie:

„Wir möchten Bildungsinstitutionen und Personen, die am Bildungsprozess beteiligt sind, darauf aufmerksam machen, dass es mehr gibt als die traditionellen Weiterbildungsangebote, wie etwa Präsenzworkshops.“

Für Lehrerinnen und Lehrer kann es genauso hilfreich sein, sich im Rahmen von Onlinegemeinschaften fortzubilden. Die Vorteile des „Twitterlehrerzimmers“ liegen ja schließlich auf der Hand:

Das Angebot ist kostenlos und jederzeit verfügbar. Darüber hinaus ist die Bildungssphäre auf Twitter mittlerweile zu einer beachtlichen Gemeinschaft herangewachsen. Die Lehrkräfte können sich über jene Themen informieren austauschen, die ihnen wirklich am Herzen liegen und Kontakte knüpfen, die weit über das eigene Kollegium hinausreichen.

Stephanie ist jedenfalls begeistert von den Möglichkeiten, die ihr die Onlinegemeinschaft auf Twitter bietet. Sie hat nun Antworten auf ihre Fragen, holt sich Inspirationen für ihren Arbeitsalltag und tauscht sich mit Lehrkräften aus ganz Deutschland aus.

Für sie ist das „Twitterlehrerzimmer“ eine echte Bereicherung.

Studienverantwortlicher

Prof. Dr. Christian Fischer

Christian Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung und Mitglied des LEAD Graduate School & Research Network.

Seine Forschungsinteressen umfassen die MINT-Forschung, Lehrkräftebildung und Digitalisierung.

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