Projekt

Wie Künstliche Intelligenz dabei helfen soll, das Lernen individueller zu gestalten

Titel des Projekts: KI in der Bildung - Pädagogisch orientierte Extraktion von sprachlichem Wissen
und Generierung natürlicher Sprache mit steuerbarer Lesbarkeit

 

Laufzeit: 01.09.2022 - 31.08.2025

Studien, Forschung

Die Fähigkeiten und Interessen von Schülerinnen und Schülern sind genauso individuell wie ihr Wissensstand. Dennoch greifen die meisten Lehrkräfte auf die immer gleichen Lehrmethoden zurück, egal welche Kinder und Jugendlichen sie damit erreichen möchten.

Dass dies inneffizient ist, hat man bereits vor Jahrzehnten erkannt. Sinnvoller wäre es stattdessen, individuelle Lehrkonzepte anzuwenden, die auf die einzelnen Lernenden zugeschnitten sind. In der Praxis ist es bislang jedoch nicht möglich, ein solch ressourcenaufwendiges Unterfangen umzusetzen.

Die Lösung: Künstliche Intelligenz (KI).

Unter der Leitung von LEAD-Wissenschaftler Xiaobin Chen wird am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung eine Software entwickelt, welche die Lehre und das Erlernen von Fremdsprachen erleichtern soll. Mithilfe dieser Technik soll es bald schon möglich sein, jede Schülerin und jeden Schüler mit den für sie und ihn angemessenen Leistungsanforderungen zu unterrichten.

Hintergrund

Tim ist frustriert. Schon wieder hat er in der Englischklausur die Note 4 geschrieben. Dabei hat er auch dieses Mal viel Zeit darauf verwendet, den Unterrichtsstoff zu lernen. Aber Grammatik, das versteht er einfach nicht.

Ganz anders sein Sitznachbar Paul. Was Tim so schwerfällt, scheint ihm leicht von der Hand zu gehen. Sein Klausurergebnis: Eine 2+.

Dabei sitzen die beiden Siebtklässler im selben Unterricht. Beide werden von derselben Lehrkraft mit denselben Lehrmethoden unterrichtet. Und genau darin könnte das Problem liegen.

So verschieden Tim und Paul nämlich in ihren Charaktereigenschaften und Interessen sind, so einzigartig sind sie auch in ihrem Lerntypus.

Um die Anforderungen des Englischunterrichts erfolgreich meistern zu können, müssten die beiden Schüler deshalb mit eigens auf sie zugeschnittenen Lernmaterialien arbeiten. Darüber hinaus wäre individuelles Feedback sehr hilfreich, besonders für Tim, dem das Erlernen der englischen Sprache schwerer fällt als vielen seiner Klassenkameradinnen und -kameraden.

Lehrkräften ist es in der Regel aber nicht möglich, auf alle Schülerinnen und Schüler gesondert einzugehen. Allein schon aus Gründen der Zeit. Dabei wäre es genau ein solcher Lehransatz, auch adaptives Unterrichten (adaptive teaching) genannt, den Schüler wie Tim benötigen.

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Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich in ihrem Lerntypus. Für Lehrkräfte ist es allerdings kaum möglich, auf die Stärken und Schwächen eines jeden einzelnen einzugehen.

Hoffnung kommt von Seiten der Technik: Hochentwickelte Software, wie sie aktuell am Hector-Institut entworfen wird, könnte adaptiven Unterricht schon bald Realität werden lassen.

Tims Arbeiten im Englischunterricht würden in diesem Falle genauestens analysiert werden. Nicht von seiner Lehrkraft, sondern von einer KI, die im Anschluss ein detailliertes Bild von Tims aktuellem Wissensstand ermitteln könnte.

Auf dieser Grundlage würden ihm nun Texte und Unterrichtsaufgaben vorgeschlagen, die seinem individuellen Leistungsniveau entsprechen. Nach der Bearbeitung dieser Aufgaben könnte Tim vom individuellen Feedback der KI profitieren.

Ein solches Unterrichtskonzept, das genau auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder und Jugendlichen zugeschnitten ist, könnte deren Motivation und schließlich auch deren schulische Leistungen verbessern.

Zugleich würden Lehrkräfte einen umfassenderen Blick über das Leistungsniveau ihrer Schülerinnen und Schüler erhalten. Am Ende profitieren also beide Seiten gleichermaßen von der Unterstützung einer solchen Software.

Methoden und Vorgehensweise

Am Ende des dreijährigen Forschungs- und Entwicklungsprozesses soll die Software POLKE drei Hauptfeatures bedienen können:

Verläuft alles nach Plan, wird diese Technik dazu in der Lage sein, aus einer Vielzahl möglicher Arbeitsaufgaben die passende für jeden einzelnen Lernenden auszuwählen, auf der Grundlage individueller kognitiver Fähigkeiten und Interessen. Darüber hinaus kann POLKE die Arbeitsleistung der Lernenden anhand objektiver Kriterien bewerten und schließlich jedem einzelnen Kind und Jugendlichen ein professionelles Feedback geben.

Welche Herausforderungen müssen Xiaobin Chen und sein Team aber nun ganz konkret meistern, damit ihre Software eines Tages den Englischunterricht an deutschen Schulen verbessern kann?

Zuallererst werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen, wie die englische Sprache in unserem Schulsystem am besten unterrichtet werden kann. Konkret bedeutet dies, dass sie untersuchen müssen, welche Lerninhalte in welcher Reihenfolge und in welcher Klassenstufe erlernt werden sollten. Hierzu wird die Sprache mit Blick auf die Grammatik und das Vokabular analysiert.

In einem sprachlichen Unterrichtsfach ist es schwieriger, eine solche Konzeption zu erarbeiten als in naturwissenschaftlichen Fächern, wie etwa der Mathematik. Dort sind die einzelnen Lernschritte, die die Schülerinnen und Schüler gehen muss, um verschiedene Wissenslevel zu erreichen, konkreter strukturiert.

Damit es Xiaobin Chen und seinem Team dennoch gelingt, das Erlernen der englischen Sprache erfolgreich zu konzeptualisieren, vertrauen sie sowohl auf die Unterstützung von Linguistinnen und Linguisten als auch auf die Zusammenarbeit mit Sprachbildungsexpertinnen und -experten. Darüber hinaus können sie von Erkenntnissen bereits durchgeführter Studien lernen.

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Mit der Unterstützung von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachgebieten analysieren Xiaobin Chen und sein Team im ersten Schritt ihres Projektes, wie Schülerinnen und Schüler die englische Sprache am besten erlernen können.

Nachdem die Forschenden erarbeitet haben, wie die englische Sprache im deutschen Schulsystem adäquat unterrichtet werden kann, gilt es, ein Werkzeug zu erstellen, das Unterrichtsmaterialien wie Texte analysieren kann.

Eine solche Technik muss etwa erkennen können, wie viele Vokabeln aus welchen Schwierigkeitslevels und welche Zeitformen in der Lektüre verwendet werden. Hierfür wird auf das Prinzip der sogenannten natürlichen Sprachverarbeitung (natural language processing) zurückgegriffen.

Auf der Grundlage der in diesem Schritt gewonnenen Informationen können nun Modelle des maschinellen Lernens entwickelt werden, mit deren Hilfe das Anforderungsniveau von verschiedenen Texten ermittelt und die Arbeitsleistung von Schülerinnen und Schülern bewertet werden können.

Das Ziel ist es, am Ende dieses komplexen Entwicklungsprozesses eine Anwendung hervorzubringen, die auf Basis der Software POLKE arbeitet und für Lernende und Lehrkräfte gleichermaßen intuitiv zu bedienen ist. Diese Applikation soll sowohl im Unterricht als auch im privaten Gebrauch, also beim Bearbeiten von Hausaufgaben und beim Lernen, nutzbar sein.

Ziel

Die Nutzung der Software POLKE im Fremdsprachenunterricht könnte sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch für Lehrkräfte in naher Zukunft eine große Bereicherung sein. Scheitert die Umsetzung des adaptiven Unterrichtens bislang am Ressourcenmangel im deutschen Bildungssystem, so könnte dieses Lehrkonzept dank KI schon bald Realität werden.

Die Lehrkräfte von Tim und Paul würden von dieser Neuerung ebenso profitieren wie die Lernenden selbst.

Erstere, weil sie ihren Schülerinnen und Schülern passgenaue Lernmaterialien zur Verfügung stellen und damit die Erfolge der Lernenden verbessern könnten. Sie erhielten detaillierte Leistungsdaten der Kinder und Jugendlichen und könnten so die Lernentwicklung eines jeden einzelnen genauestens mitverfolgen.

Ohne die Unterstützung von POLKE ließe sich ein solch individualzentrierter Unterricht nicht umsetzen.

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Die KI als Lehrassistent: Mit der Software Polke sollen Lehrkräfte zukünftig detaillierte Leistungsdaten ihrer Schülerinnen und Schüler abrufen können.

Tim und Paul würden hingegen davon profitieren, dass sie Aufgaben bearbeiten dürfen, die perfekt zu ihrem Leistungsniveau und ihren Interessen passen. Sei es im Unterricht oder zuhause beim Lernen. Auf ihre Arbeit würden sie außerdem ein kontinuierliches Feedback erhalten, dass ihnen dabei hilft, Fehler zu erkennen und zukünftig zu vermeiden.

Besonders Tims Leistungen im Englischunterricht könnten sich durch die Hilfe von POLKE deutlich verbessern.

Xiaobin Chen hofft, dass die von ihm mitentwickelte Anwendung in spätestens 10 Jahren sowohl den Lehrkräften als auch den Schülerinnen und Schülern in Deutschland das Unterrichten und Lernen der englischen Sprache erleichtert. Eine Voraussetzung, die dafür erfüllt sein muss, ist die weit fortgeschrittene Digitalisierung des deutschen Schulsystems.

Neben Englisch ist die Struktur der Software POLKE darüber hinaus auch auf andere Fremdsprachen übertragbar. Ein nächster logischer Schritt für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung wäre daher die Konzeptualisierung weiterer Fremdsprachen, wie Französisch, Spanisch oder Latein.

Dadurch könnten eines Tages noch mehr Schülerinnen und Schüler erfolgreich dabei unterstützt werden, eine neue Sprache zu erlernen.

Studienverantwortlicher

Dr. Xiaobin Chen

Xiaobin Chen ist Nachwuchsgruppenleiter am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung und Mitglied des LEAD Graduate School & Research Network.

Zu seinen Forschungsinteressen zählen die künstliche Intelligenz im Bildungsbereich, Intelligent Computer Assisted Language Learning (ICALL), sowie der Zweitspracherwerb.

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Das Magazin Bildungshorizonte erscheint einmal im Jahr und berichtet kurz und prägnant über aktuelle Ergebnisse aus der Bildungsforschung in der Regel mit einem Themenschwerpunkt.

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