Virtuelle Realitäten werden gemeinhin als künstliche oder simulierte Umwelten verstanden, in die man eintauchen kann und die bereits nach kurzer Zeit als sehr authentisch erlebt werden. So kann man zum Beispiel eine Unterrichtsstunde im virtuellen Klassenzimmer besuchen und den Unterricht “hautnah” miterleben. Am Hector-Institut untersuchen wir deshalb im Rahmen unterschiedlicher Projekte, wie virtuelle Realitäten auch in der empirischen Bildungsforschung sinnvoll eingesetzt werden können. Dabei wird sowohl Fachwissen innerhalb der virtuellen Realitäten vermittelt und sie werden zur Schulung von Lehrkräften im Bereich der professionellen Unterrichtsbeobachtung eingesetzt. Angehende Lehrkräfte haben so die Möglichkeit, den Unterricht in einer Klasse zu erleben und eine gänzlich andere Perspektive auf das Unterrichtsgeschehen zu erhalten als durch die typischen Unterrichtsvideos.
Großer Vorteil für die empirische Forschung
Virtuelle Realitäten bieten aber noch einen weiteren Vorteil, der für die empirische Forschung von unschätzbar großem Wert ist. Die Frage, unter welchen Bedingungen Schülerinnen und Schüler am besten lernen, ist auch deshalb nicht immer leicht zu beantworten, weil in vielen Fällen ein experimenteller Vergleich verschiedener Alternativen kaum möglich ist. Dadurch lassen sich auch zunächst trivial erscheinende Fragestellungen nur schwer beantworten – beispielsweise die, welchen Unterschied es macht, ob ein Schüler vorn oder hinten im Klassenzimmer sitzt. Noch weitaus schwieriger sind Untersuchungen zum Einfluss der Mitschülerinnen und Mitschüler oder einer Lehrkraft auf das Lernen in einer Klasse. Inwieweit sind bessere Mitschülerinnen und Mitschüler in der Klasse für den gemeinsamen Lernerfolg von Vorteil? Oder wie gelingt es Lehrkräften, die Aufmerksamkeit von Schülerinnen und Schülern im Unterricht optimal zu lenken? Auch zur Beantwortung dieser und ähnlicher Fragestellungen setzen wir virtuelle Klassenzimmer ein. Damit können wir etwa die Auswirkungen bestimmter Qualitätsmerkmale des Unterrichts einer Lehrkraft - zum Beispiel die Art der Einführung in ein neues Themengebiet - oder die Auswirkungen von Merkmalen der Klassen – zum Beispiel die Leistungsstärke von Mitschülerinnen und Mitschülern - auf das Lernverhalten von Schülerinnen und Schülern experimentell prüfen.
Virtueller Trainingssimulator in der Lehramtsausbildung
Ein weiterer wichtiger Einsatzort von virtuellen Realitäten ist die Lehrkräfteausbildung. Angehende Lehrerinnen und Lehrer sollen möglichst früh an die Herausforderungen ihres zukünftigen Berufs herangeführt werden. Um das Unterrichten praxisnah zu erproben und bestimmte Handlungsweisen zu üben, bieten virtuelle Realitäten einzigartige Möglichkeiten. Innerhalb dieser simulierten Welten können Lehrkräfte eine Unterrichtseinheit halten, während sie gleichzeitig mit unterschiedlichen Herausforderungen, wie etwa einem störenden Schüler, in der Klasse konfrontiert werden. Gleichzeitig können die Blickbewegungen der Lehrkraft oder andere Raumdaten wie ihre Position in der Klasse registriert und nach Abschluss des Trainings rückgemeldet werden. So lässt sich prüfen, inwiefern eine Lehrkraft durch den regelmäßigen Wechsel des Standortes im Klassenzimmer tatsächlich alle Schülerinnen und Schüler im Blick behalten konnte und ob der oder die Lehrende adäquat auf die Störung eines Schülers oder einer Schülerin reagiert hat. In den kommenden Jahren wollen wir solche Anwendungen für den praktischen Gebrauch in der Lehramtsausbildung noch nutzerfreundlicher gestalten und die Interaktionsmöglichkeiten mit den virtuellen Schülerinnen und Schülern einer Klasse ausbauen.