Beim „Game-based Learning“ werden Lernspiele im Unterricht eingesetzt, um Schülerinnen und Schüler zu motivieren und beim Erreichen der Lernziele zu unterstützen. Wir haben uns das Online-Spiel „Die Schattenjäger“ und dessen Möglichkeiten zum Einsatz im Geschichtsunterricht angeschaut.
Game-based Learning kann positive Effekte auf Motivation und Schlüsselkompetenzen haben. Darauf deuten erste empirische Studien hin. Auch Expertinnen und Experten aus der Geschichtsdidaktik sind der Meinung, dass die mediale Vermittlung eine nicht unerhebliche Rolle für das Geschichtsbewusstsein von Kindern und Jugendlichen einnehmen könnte. Und nicht zuletzt wird der Umgang mit Medien zunehmend als eine wichtige Vermittlungsaufgabe des Geschichtsunterrichts erachtet.
Das Spiel “Die Schattenjäger” beispielsweise bietet die Möglichkeit – in den Sprachen Deutsch und Polnisch – in der Person einer jungen Staatsanwältin oder eines jungen Staatsanwaltes einem Kriegsverbrecher aus der Nazizeit auf die Schliche zu kommen und ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
Auf Youtube wird das Spiel wie folgt beschrieben:
Bei ‘Die Schattenjäger’ handelt es sich um ein narratives Detektivspiel, welches genremäßig an die Tradition der Click and Point Adventures anknüpft. Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Staatsanwälten, die im Jahre 1960 ihre Arbeit in Flensburg aufnehmen. Ihre Aufgabe ist es, den titelgebenden Fall zu lösen und festzustellen, ob Heinz Reinefarth der ihm vorgeworfenen Verbrechen schuldig ist.
Infolge des Befehls Hitlers, alle Einwohner Warschaus für den Ausbruch des Warschauer Aufstands mit dem Tod zu bestrafen, wurden zwischen dem 5. und 7. August 1944 im Warschauer Stadtteil Wola nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 15.000 und 60.000 polnische Zivilisten ermordet. SS-General Heinz Reinefarth, auch „Henker von Warschau“ genannt, blieb nach dem Krieg ungestraft.[...] Wie im wahren Leben gibt es im Spiel multiple Enden – und nur von Ihnen hängt ab, ob die Wahrheit über Heinz Reinefarth ans Tageslicht kommt.
Die Idee ist, das Spiel im Unterricht und unterrichtsbegleitend auch zuhause von Schülerinnen und Schüler ausprobieren zu lassen, um zu sehen, ob sie durch das Spiel auch über die Zeit und den auf Fakten basierenden Fall lernen können. Dabei ist die Spielzeit auf etwa zwei bis drei Stunden anberaumt.
Wie kann ein Spiel Geschichte lehren?
Der Catch bei „Die Schattenjäger“ ist eigentlich sehr spannend. Der Spielende muss sich, mit zum Teil recht ausführlichen Passagen aus Quellendokumenten und anderen historischen Zeugnissen wie Fotos auseinanderzusetzen, um in der Handlung voranzukommen.
Der Umgang mit Originalquellen ist eine zentrale Anforderung an den Geschichtsunterricht und das Spiel bietet die Möglichkeit, dies im Unterricht spielerisch einzuüben. Der Nachteil: Man muss nicht nur sehr viel lesen, sondern auch zum Teil recht komplizierte Texte verarbeiten. Manche Schülerinnen und Schüler zeigten sich deswegen unzufrieden oder überfordert.
Um an dieser Stelle Hilfeleistung zu bieten, waren die Lehrkräfte von großer Wichtigkeit. Allerdings mussten auch diese sich dafür in das Spiel einarbeiten.
Das Spiel hat drei unterschiedliche Ausgänge, je nachdem, welche Entscheidungen die Spielerin oder der Spieler im Verlauf getroffen hat.
Meistens scheitert die Überführung des NS-Verbrechers Heinz Reinefarth durch die Staatsanwaltschaft, was der historischen Realität entspricht. Die beiden anderen möglichen Spielausgänge, nämlich eine Anklage oder ein Anschlag einer polnischen Untergrundorganisation, sind unwahrscheinlich und wurden in mehreren Unterrichtsversuchen nie erreicht.
Dies frustrierte manche Schülerinnen und Schüler, andere verbrachten viel Zeit im Spiel und klickten unterschiedliche Möglichkeiten durch, um an das gewünschte Ergebnis zu kommen. Dabei war jedoch nicht erkennbar, dass besonders gründliches Lesen der Quellen eher zu einem Spielerfolg führte als ein Verfahren nach dem „Trial-and-Error“-Prinzip, was für Lernende nicht die richtigen Anreize setzt.
Erfahrungen in der Praxis
Das Spiel wurde in den Klassenstufen neun und zwölf eines Gymnasiums erprobt, jeweils mit einer kurzen Einführung im Unterricht, einer Spielphase in der Schule und zu Hause und einer Abschlussbesprechung.
Inhaltlich war die Unterrichtssequenz nach Ende der Einheit zum Zweiten Weltkrieges verortet. Lernziel war, inhaltlich die Auseinandersetzung mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik anzuregen und methodisch den Umgang mit Quellen und Reflexions- und Urteilskompetenz mit einem Fragenkomplex nach Schuld, Verantwortung und Gerechtigkeit zu erproben.
Das Spielszenario und das funktionale, aber ansprechende Design zogen die Schülerinnen und Schüler schnell ins Spiel. Durch das Annehmen der Rolle einer jungen Staatsanwältin auf erster großer Mission tauchten die Lernenden in die Spielwelt ein, was ein Immersionserlebnis befördert.
Schülerinnen und Schüler meldeten im Unterrichtsgespräch zurück, dass sie die Beschäftigung mit dem Spiel „Die Schattenjäger“ im Unterricht als eher positiv empfanden und teilweise auch bereit waren, in ihrer Freizeit viel Zeit damit zu verbringen.
Es liegt jedoch die Frage nahe, ob es sich hierbei nur um den Neuheiten-Effekt handelt, der mit zunehmendem Einsatz von Game-based Learning verblassen würde.
Die "echte Detektivarbeit" mit Originalquellen wurde im Versuch von den Spielenden einerseits als anstrengend, andererseits auch als authentisch und spannend empfunden.
In den Feedbackstunden wurde deutlich, dass vor allem Schülerinnen und Schüler mit geringer Lesekompetenz im Dickicht der Quellen und Nebenpersonen verloren gegangen sind und trotz langer Spielzeiten nicht in der Lage waren, die Informationen zu filtern und zu bewerten.
Allerdings gab es auch viele Schülerinnen und Schüler, die in der Lage waren, Informationen zu historischen Geschehnissen aus Quellen zu entnehmen, diese zu strukturieren und zu bewerten und anschließend ein begründetes historisches Urteil zu fällen, womit die Anforderungen an einen qualitativ hochwertigen Geschichtsunterricht für diese Schülerinnen und Schüler erfüllt sind.
Unser Fazit
„Die Schattenjäger“ ist dementsprechend für lernstarke Gruppen der Kursstufe oder im Rahmen von Geschichts-AGs zu empfehlen.
Wegen des hohen Zeitaufwands, der mangelnden konstruktiven Unterstützung und fehlenden Anreizen zur kognitiven Aktivierung bei mangelnder Lesekompetenz erweist sich das Spiel für den flächendeckenden Einsatz im Geschichtsunterricht jedoch als nur bedingt geeignet.
Hinzu kommt, dass das Spiel selbst kritisch betrachtet werden muss, da es von einer Einrichtung der polnischen Regierung beauftragt wurde, deren Geschichtspolitik in den letzten Jahren immer wieder rege kritisiert wurde.
Hierbei ist vor allem der polnische Anteil an den antisemitischen Verbrechen der deutschen Besatzer Gegenstand der Debatte. Dies sollte auch im Sinne der Erziehung zu einem kritischen Umgang mit Medien mit den Schülerinnen und Schüler problematisiert werden.
Das Spiel zeigt dennoch das Potential auf, das in Point-and-Click-Adventures für den Geschichtsunterricht steckt: Als Lehrpersonen wünschen wir uns solche Angebote des Game-based Learning für zentrale Themen des Bildungsplans mit mehr Orientierung auch auf die Bedürfnisse schwächerer Lerngruppen.
Hier könnten Landesmedienzentren, Museen, Gedenkstätten oder Archive ihre Inhalte gezielt für den Gebrauch im Unterricht platzieren und so Jugendliche für Geschichte begeistern.