Ein neues Unterrichtskonzept für das Schulfach Physik knüpft gezielt an die Alltagserfahrungen von Schülerinnen und Schülern an, um ihnen ein besseres Verständnis der elektrischen Spannung und von einfachen Stromkreisen insgesamt zu ermöglichen. Die Unterrichtsmaterialien können kostenfrei heruntergeladen werden.
Die physikdidaktische Forschung hat gezeigt, dass es vielen Schülerinnen und Schülern nach der 10. Jahrgangsstufe trotz guter und intensiver Bemühungen ihrer Lehrkräfte nicht gelingt, grundlegende Fragen zu einfachen Stromkreisen zu beantworten. Insbesondere wissen sie oftmals nicht, was die elektrische Spannung ist, welche Rolle sie in Stromkreisen spielt und wie man sich die Spannung vorstellen kann. Ohne die Spannung ist ein elementares Verständnis der Elektrizitätslehre jedoch unmöglich. Vor diesem Hintergrund wollten wir ein innovatives Unterrichtskonzept entwickeln, das gezielt an die Alltagserfahrungen der Schülerinnen und Schüler anknüpft.
Die Spannung ist keine einfache physikalische Größe, da sie die Differenz zweier Potenzialwerte darstellt und sich immer auf zwei Punkte in einem Stromkreis bezieht. Sie ist damit komplexer als das elektrische Potenzial, das einem Punkt bzw. einem Leiterabschnitt zugeordnet werden kann. Paradoxerweise wird von den Schülern insbesondere im Anfangsunterricht aber häufig erwartet, ein Verständnis für die Spannung zu entwickeln, ohne die dahinterstehende Größe selbst, nämlich das Potenzial, zu kennen, geschweige denn zu verstehen.
Auf Basis des Elektronengasmodells haben wir nun ein Unterrichtskonzept entwickelt, das den Lernenden ein Verständnis der Grundbegriffe Spannung, Stromstärke und Widerstand sowie ihrer wechselseitigen Beziehung in einfachen Stromkreisen vermittelt. Das elektrische Potenzial wird hierbei mit dem Luftdruck oder dem sogenannten „elektrischen Druck“ in einem Leiter verglichen und die elektrische Spannung dementsprechend als „elektrischer Druckunterschied“ noch vor dem elektrischen Strom eingeführt (vgl. Cohen, Eylon & Ganiel, 1983).
Intuitives Verständnis mit Hilfe des Elektronengasmodells
Aufbauend auf der von Clement & Steinberg (2002) erfolgreich erprobten Luftdruckanalogie besteht die Idee zunächst darin, den Schülern auf Grundlage ihrer intuitiven Luftdruckvorstellung (z.B. von Luftmatratzen oder Fahrradreifen) bewusst zu machen, dass Luftströmungen immer eine Folge von Luftdruckunterschieden sind. Dieses Verständnis wird dann auf elektrische Stromkreise übertragen, indem analog zum Luftdruck ein „elektrischer Druck“ in Leitern postuliert wird.
Die Idee hinter dem „elektrischen Druck“ ist, dass sich Elektronen in Metallen in Teilchenform befinden und sich dort frei bewegen können. Da die Elektronen negativ geladen sind, werden sie durch Abstoßung so weit wie möglich auseinandergetrieben, weshalb sie den ihnen zur Verfügung stehenden Raum im gesamten Leiter gleichmäßig ausfüllen. Im Leiter kommt es aufgrund der gegenseitigen Coulomb-Abstoßung der Elektronen zu einem von der Elektronendichte abhängigen elektrischen Druck.
Ursächlich für die Ungleichverteilung der Elektronen im Leiter ist dabei die Batterie, die an ihren Polen bzw. in den mit ihren Polen verbundenen Leiterstücken einen konstanten elektrischen Überdruck (Minuspol) bzw. Unterdruck (Pluspol) erzeugt. Durch Gleichsetzen des elektrischen Drucks mit dem elektrischen Potenzial kann die Spannung so als elektrischer Druckunterschied interpretiert werden, welcher genauso die Ursache für den elektrischen Strom ist wie Luftdruckunterschiede die Ursache für Luftströmungen sind.
Lernzuwachs durch Studie belegt
Anders als bisherige Ansätze fokussiert unser Unterrichtskonzept darauf, den Lernenden schon zu Beginn ein intuitives Verständnis für die elektrische Spannung zu vermitteln. In einer Vergleichsstudie mit 790 Schülerinnen und Schülern an Frankfurter Gymnasien zeigte sich, dass diese über ein deutlich besseres konzeptionelles Verständnis elektrischer Stromkreise verfügten und der Lernzuwachs mit unserem Konzept signifikant höher war als mit traditionellem Physikunterricht. Auch die Lehrkräfte gaben an, das Konzept als wesentliche Verbesserung ihres Unterrichts wahrgenommen zu haben.
Auf unserer eigens dafür eingerichteten Webseite einfache-elehre.de können die Unterrichtsmaterialien kostenfrei heruntergeladen werden.
Zum Weiterlesen:
- Jan-Philipp Burde and Thomas Wilhelm (2020). Teaching electric circuits with a focus on potential differences. In: Phys. Rev. Phys. Educ. Res. 16, 020153, DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevPhysEducRes.16.020153
- Jan-Philipp Burde (2018): Konzeption und Evaluation eines Unterrichtskonzepts zu einfachen Stromkreisen auf Basis des Elektronengasmodells. Studien zum Physik- und Chemielernen, Band 259, Logos-Verlag, Berlin, ISBN: 978-3-8325-4726-4, http://doi.org/10.30819/4726
Referenzen:
- Clement, J. J.; Steinberg, M. S. (2002). Step-Wise Evolution of Mental Models of Electric Circuits: A „Learning-Aloud“ Case Study. In: The Journal of The Learning Sciences, 11 (2002) 4, S.389-452.
- Cohen, B.; Eylon, U.; Ganiel (1983). Potential difference and current in simple electric circuits: A study of students’ concepts, Am. J. Phys. 51, 407.